Das Menschenbild der Künstlichen Intelligenz. Ein Gespräch mit Joseph Weizenbaum

Das folgende Interview mit Joseph Weizenbaum, geführt von Bernhard Pörksen, wurde erstmals 1998 veröffentlicht. Im Mittelpunkt stehen die Entwicklung der künstlichen Intelligenz, Argumente über Analogien zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz sowie Perspektiven des kritischen Denkens über das Verhältnis zwischen Mensch und Computer.

Das Modell der Maschine und das Modell des Menschen

Pörksen: Wer sich mit der Künstlichen Intelligenz befasst, der stößt immer wieder auf zwei grundsätzlich unterschiedliche Perspektiven: Manche KI-Protagonisten betrachten den Menschen als Modell der Maschine; die Maschinenintelligenz soll, so ihre Vorstellung, eine Imitation menschlicher Intelligenz darstellen. Bei einer anderen Gruppe von Forschern hat der Mensch diese Rolle als ideales Imitationsmodell jedoch eingebüßt: Jetzt sind es die Maschinen der Zukunft, die - wie man meint - dem Menschen überlegen sein werden. Sie erscheinen als weitgehen vollkommene, mit einer phantastischen Denkkraft ausgestattete Entitäten. Läßt sich rekonstruieren, welcher dieser beiden Forschungsstränge am Anfang stand?

Weizenbaum: Diese beiden Stränge laufen seit den Anfängen der KI-der berühmten Dartmouth-Konferenz im Jahre 1956 - in irgendeiner Form nebeneinander her; auch schon zu Beginn kann man ahnen und sehen, dass nicht nur der Mensch als Vorbild und Ideal gilt, sondern dasssman auch die Maschine als das Muster für das zu bauende Modell begreift. Auf der einen Seite findet sich also ein statement wie der Satz von Marvin Minsky, der gesagt hat, dass das Gehirn nichts weiter als eine Fleischmaschine sei. Im Original: "The brain is merely a meat machine."

Man muss das wirklich auf Englisch zitieren, denn im Englischen gibt es zwei Worte für Fleich - meat und flesh. Flesh ist lebendes, ist lebendiges Fleisch. Mit meat kann man dagegen machen, was man will, man kann es essen, man kann es braten und verbrennen, es handelt sich um etwas Totes. In diesem Satz ist allerdings noch der Mensch das Muster; er ist es, dessen Intelligenz man nachbauen will. Was hier jedoch mitschwingt, ist die Idee, dass dies überhaupt keine Schwierigkeit sein dürfte; denn sein zentrales Organ - das Gehirn, das ihn determiniert und charakterisiert - sei eben bloß eine Fleischmaschine, nichts weiter. Auf der anderen Seite findet sich das ebenfalls von Marvin Minsky ausgesprochene Dogma, Gott sei kein besonders fähiger Ingenieur gewesen und bei dem Menschen handele es sich um eine Fehlentwicklung mit vielen überflüssigen Schwächen: Er braucht Schlaf, er lernt nur mühsam und vergißt wieder; außerdem ist er sterblich. Wir dagegen, so die in der Kr-Gemeinde schon sehr früh verbreitete Auffassung, können etwas viel Besseres und Vollkommeneres erschaffen: Wir bauen das Idealmodell- eine Kreation, die sich zwar noch in manchem am Menschen orientiert, aber die der Perfektion doch näherkommt

Pörksen: Das bedeutet - wenn man diesen Gedanken weiterspinnt - eigentlich, dass der Mensch aus dieser Perspektive zu einem evolutiven Bindeglied zwischen dem Affen und einem ihn übertrumpfenden Maschinenwesen wird. Luc Stells, KI-Professor an der Freien Universität Brüssel, schlägt vor, dieses Wesen der Zukunft "Homo cyber sapiens" oder alternativ "Robot hominidus intelligens" zu nennen.

Weizenbaum: In eine ähnliche Richtung zielt auch der Vorschlag, den Hans Moravec, Leiter des Mobile Robot Laboratory der Carnegie Mellon University, in seinem Buch „Mind children“ macht: Er glaubt, das menschliche Bewusstsein ließe sich auf einen Roboter herunterladen; und man könne und solle es kopieren, um es von seinem notwendig sterblichen Körper abzulösen, der als bloßes Vehikel des Geistes gilt. Das Wesentliche des Menschen ist, so meint er, Information. Den Körper verachtet er.

Pörksen: Andere Autoren, die Moravec gedanklich nahestehen, nennen den menschlichen Körper ebenso wenig freundlich "ein Stück Fleisch", "Brei" oder "Sülze".

Weizenbaum: So wird eben in dieser Szene geredet. In jedem Fall gelten die Roboter der Zukunft aus dieser Perspektive als eine Korrektur und Verbesserung der Natur: Moravec behauptet, dass solche Maschinen "unsere zivilisatorische Evolution vorantreiben" könnten. Was er will, ist den bewussten und steuernden Eingriff in den Prozess der Evolution, den er für fehlerhaft hält. Seine Ideen gelten in den USA übrigens nicht als Science-fiction oder als bloße Trivialitäten, sondern sie kursieren an den      Spitzenuniversitäten des Landes. Immerhin ist sein Buch von der Harvard University Press veröffentlicht worden.

Prometheische Scham und prometheischer Stolz

Pörksen: In dieser Verehrung der Maschine als einer neuen Krone der Schöpfung drückt sich, so kann man vermuten, ein Grundgefühl aus, das der Philosoph Günther Anders einmal als "prometeische Scham" bezeichnet hat: Er meint damit ein Gefühl der Unterlegenheit, so etwas wie Hilflosigkeit oder eben Scham angesichts der enormen Qualität der selbstentworfenen Maschinen. Teilen Sie die Diagnose von Günther Anders?

Weizenbaum: Ganz gewiss gibt es dieses allgemeine psychologische Phänomen, dass man sich, wenn man mit einer besonders perfekten Leistung konfrontiert wird, unterlegen fühlt und sich für seine eigene Schwäche schämt. In diesem Sinne hat Günther Anders recht.

Pörksen: Marvin Minsky hat ja auch einmal gesagt, die Denkkraft der Silizium-Gehirne sei so phantastisch, dass wir - er meinte: die Menschen - froh sein könnten, wenn uns die Roboter der Zukunft als Haustiere behalten.

Weizenbaum: Aber es geht nicht allein um Scham: Beobachtbar ist eine Dialektik der Gefühle, die fast jeder Programmierer kennt. Ein gewisser Stolz bleibt auch dann bestehen, wenn man den Computer aus irgendeinem Grund für besser und klüger halten sollte. Denn immerhin war man selbst derjenige, der dieses besondere Programm geschrieben hat. Auf diese Weise entsteht ein grundsätzliches Paradox: Man schämt sich der eigenen Schwäche und ist doch gleichzeitig stolz, dass man ein derartig überlegenes Programm zu schreiben und zu erschaffen vermochte.

Pörksen: Moravec spricht auch von den neuen Robotern - das würde für diese These eines gewissen Stolzes sprechen - als seinen "Geisteskindern".

Weizenbaum: Noch etwas anderes ist hier auffällig: Es ist ein Mann, der so spricht. Ist das Zufall? Ich glaube nicht, wenn man sich klarmacht, dass das Feld der KI von Männern dominiert wird. Mir scheint hier nicht nur der Wahn, Gott zu spielen, sondern auch der Neid auf die Frauen und ihre Fähigkeit, Kinder zu gebären, als ein treibendes Motiv. Was hier zum Ausdruck kommt, würde ich als Uterusneid bezeichnen.

Pörksen: Sie meinen ein komplementäres Phänomen zu dem von Sigmund Freud beschriebenen Penisneid?

Weizenbaum: Genau. Man tut nun so, als könne man auch Kinder hervorbringen - nur sind diese eben, wie man verbreitet, besser und intelligenter als jedes menschliche Wesen.

Pörksen: Aber derartige Behauptungen sind doch vollkommen spekulativ. Und auch die Ankündigung von Minsky, wir könnten froh sein, wenn uns die Maschinen der Zukunft "als Haustiere behalten", scheint angesichts der Roboter, die man bis heute zustandegebracht hat, völlig überzogen. Könnte die relative Erfolgslosigkeit der KI-Forschung nicht gerade die Quelle eines neuen Selbstbewußtseins sein: Der Mensch sieht, was die Maschine alles nicht kann.

Weizenbaum: Natürlich könnte man, wenn man die unerfüllten Prophezeiungen der KI betrachtet, sagen: Sind wir nicht wunderbar? Sind wir nicht großartig? Aber das ist Unsinn? Man sollte die menschliche Würde nicht danach bemessen, was eine Maschine kann oder nicht kann oder wie gut ein Computer Schach spielt. Der fatale Fehler dieser Form des noch humanistisch gemeinten Denkens ist, dass hier die Maschine zum Maß für den Menschen wird. Das Vermögen und Unvermögen eines Roboters ist doch keine Grundlage zur Bestimmung des menschlichen Selbstbewußtseins.

Die heimliche Anthropologie der technischen Welt

Pörksen: Für mich stellt sich trotzdem die Frage, ob man die diversen Prognosen aus dem Fabelreich der KI eigentlich ernst nehmen sollte. Vieles scheint einfach absurd, manches ist aber auch witzig, amüsant und anregend: Man wird mit verrückten Wahrnehmungen, schrillen Ideen und verblüffenden Gedanken konfrontiert. Nochmals: Muß man die Vorstellungen eines Minsky oder Moravec ernst nehmen?

Weizenbaum: Das sind eigentlich zwei Fragen. Die erste lautet: Muß man damit rechnen, dass Menschen tatsächlich derartig überlegene Maschinen herstellen können? Müssen wir uns fürchten, dass derartige Roboter tatsächlich eines Tages existieren und wir in der Folge zu ihren Haustieren werden? Dazu sage ich: Nein, das müssen wir nicht. Und ich füge hinzu, dass es auch wenig sinnvoll ist, mit diesen Leuten die Probleme der technischen Machbarkeit zu debattieren. Das ist ein loosing game, ein verlorenes Spiel, das nur neue und vielleicht ebenso unerwünschte Entwicklungen anstößt. Die zweite und entscheidende Frage ist aber, ob man die Ideen, die hier verbreitet werden, ernstnehmen sollte. Und dazu sage ich: Ja, unbedingt! Der Grund ist, dass diese und andere Autoren an der Schwelle des Jahrtausends ein äußerst gefährliches Menschenbild  propagieren.

Pörksen: Wie sieht dieses Menschenbild aus?

Weizenbaum: Es basiert auf der Vorstellung, der Mensch sei eine Maschine, die man im Prinzip und in naher Zukunft verstehen und entschlüsseln könne, um sie dann entsprechend zu korrigieren und zu verbessern. Das zentrale Dogma dieses Menschenbildes ist die Idee, dass jeder Aspekt des Lebens computable sei, dass er sich in berechenbare und formalisierbare Vorgänge auflösen ließe.

Pörksen: Wenn ich richtig verstehe, geht es Ihnen gar nicht primär um die Frage der technischen Realisierbarkeit, sondern um eine Art wortlose Ideologie, die mit der technischen Utopie ins Leben tritt. Marshall McLuhan hat wohl etwas sehr Ähnliches gemeint, als er von der symbolischen Wirkung von Technik- "the symbolic fall out of technology" - sprach; Technik lasse, so McLuhan, ein Umfeld und eine Welt von Symbolen entstehen und verändere auf diesem Weg unser menschliches Selbstverständnis.

Weizenbaum: Sollte es tatsächlich möglich sein, derartig intelligente Maschinen herzustellen, dann wird dies erst in ferner Zukunft und nach vielen weiteren Generationen geschehen. Aber das Menschenbild wird, darauf kommt es an, heute geändert - und dies geschieht durchaus mit großem Erfolg: Minsky oder Moravec sind ja nicht einfach vom Himmel gefallen, sondern sie formulieren ihre Thesen in einer Kultur und in einer Zeit, in der man unbedingt an die Naturwissenschaften und die moderne Technologie glaubt.

Pörksen: Nochmals nachgefragt: Was sind die Gefahren eines Menschenbildes, das sich an Analogien aus der Welt der Maschinen orientiert?

Weizenbaum: Wir können aus der Geschichte dieses Jahrhunderts, vielleicht des brutalsten Jahrhunderts, lernen, welche entscheidende Rolle das Menschenbild in den Verbrechen der Vergangenheit spielte. Und wir müssen uns daran erinnern, dass die grausamsten Verbrechen möglich wurden, weil die Täter das Menschsein der Opfer leugneten. In der NS-Zeit stellte man Juden als Ungeziefer dar- eine Metapher, die den Massenmord legitimierte. Heute gewinnt, unterstützt durch die Autorität der Naturwissenschaften, die Vorstellung an Substanz und Macht, der Mensch sei lediglich eine informationsverarbeitende Maschine, die von einem Roboter ersetzt werden könne. Es ist aus dieser Perspektive nur konsequent, dass Moravec ganz selbstverständlich von einer "postbiologischen Gesellschaft" spricht, regiert von Robotern.

Von den Folgen einer Metapher

Pörksen: Sie meinen, dass sich Tier- und Maschinenmetaphern ähneln?

Weizenbaum: Genau - und zwar in einer entscheidenden Hinsicht: Diese Metaphern vernichten die Ehrfurcht vor dem Menschen; sie lassen sein mögliches Ende erträglich erscheinen. Vor dem Ungeziefer und einer meat machine müssen wir keinen Respekt mehr haben. Man kann, wenn man von solchen Metaphern ausgeht, jede nur vorstellbare Grausamkeit verüben. Dies ist in unserem Jahrhundert auf furchtbare Weise bestätigt worden.

Pörksen: Sie haben insbesondere auf das Buch von Hans Moravec „Mind children“ sehr wütend reagiert und gesagt, Moravec ziele letztlich auf eine „Endlösung der Menschheitsfrage". Warum dieser Hinweis auf die Verbrechen der Nationalsozialisten? Mir leuchtet ein solcher Analogieverweis nicht wirklich ein.

Weizenbaum: Das mag sein. Aber wir sind alle das Ergebnis unserer Geschichte - einer Geschichte, die schon vor unserer Geburt beginnt. Was uns prägt, sind die Erfahrungen, die wir machen; was uns beeinflußt, ist die gesellschaftliche Situation, in die wir hineingeboren werden. Und so ist es nicht verwunderlich, dass gerade mir – vielleicht sollte ich in Anführungsstrichen hinzufügen: "einem deutschen Juden" - diese Analogie einfällt. Ein anderer würde vermutlich etwas anderes bemerken.

Pörksen: Trotzdem stellt sich die Frage, worin Ihrer Auffassung nach die Gemeinsamkeit zwischen einem nationalsozialistischen Rassenwahn und den Phantasien eines KI-Professors besteht?

Weizenbaum: Natürlich stellt sich Hans Moravec nicht jeden Morgen vor den Spiegel und übt den Hitlergruß, das ist nicht der Punkt. Worauf ich hinauswill, ist die ungeheure Macht eines inhumanen Menschenbildes, das sich wie ein Virus in einer Gesellschaft auszubreiten vermag. Die wesentliche Gemeinsamkeit zwischen dem Nationalsozialismus und den Ideen eines Hans Moravec liegt, so meine ich, in der Entwürdigung des Humanen und der Phantasie eines perfekten neuen Menschen, der um jeden Preis geschaffen werden muß; am Schluß dieser Perfektionierung ist der Mensch allerdings nicht mehr da; er verschwindet in Moravecs postbiologischer Gesellschaft. Ein humanes Menschenbild muß heute, davon bin ich zutiefst überzeugt, gegen die Dominanz der Maschinen-      Metaphern verteidigt werden.

Pörksen: Tatsächlich ist ja niemand einem von der Maschinen-Metapher bestimmten Menschenbild hilflos ausgeliefert; Menschen empfinden doch sehr verschieden, sie agieren und rezipieren als Individuen, sind nicht notwendig gefügig gegenüber Wahrnehmungsrastern.

Weizenbaum: Das sehe ich anders; die Verletzbarkeit des Individuums ist groß. Sie lässt sich leicht durch die Bilder völliger Hingabe, die aus der NS-Zeit bekannt sind, belegen. Man denke nur an das Schreien und Jubeln und die ekstatischen "Sieg Heil"-Rufe der Deutschen. Menschen haben sich ja - gerade in diesem Jahrhundert - mehrfach begeistert ausgeliefert, bis es zu spät war und man entsetzt vor den Massengräbern stand.

Das Credo der Künstlichen Intelligenz

Pörksen: Nun sind aber Metaphern aus der Welt der Maschine allgegenwärtig und waren immer schon da. Sie. stammen noch aus den Zeiten der Dampfmaschinen und der Rädchen und Schrauben. Vom Herz reden wir als Pumpe; aus einer Sache, die wir betreiben, kann die Luft raus sein, eine andere läuft dagegen wie geschmiert. Von Menschen sagen wir, sie seien nicht mehr ganz dicht, sie würden durchdrehen, bei ihnen sei eine Schraube locker. Mit dem Jahrhundert der Elektrizität stehen wir dann plötzlich unter Strom und schalten nicht mehr schnell genug. Es brennen Sicherungen durch. Und so weiter.

Weizenbaum: Faktisch ist das mechanistische Welt- und Menschenbild, das uns solche Redewendungen beschert hat, etwa dreihundert Jahre alt. Insofern wäre ich sehr vorsichtig mit der Behauptung, derartige Metaphern seien immer schon da gewesen. Noch vor wenigen Jahrhunderten war für die Menschen Dantes Bild der Hölle und die Vorstellung eines Paradieses, in das man Dank eigener Anstrengungen oder der Güte Gottes gelangt, Realität. Aber natürlich stimme ich zu, wenn Sie sagen, dass Metaphern allgegenwärtig sind; jede Erkenntnis und jeder Versuch, etwas zu verstehen, sind - so würde ich sogar behaupten - letztlich metaphorischer Natur: Alles, was wir wissen, wissen wir in Form von Analogien, Vergleichen und Metaphern. Wenn wir glauben, dass wir etwas verstehen, so benutzen wir stets das Modell der Analogie, das heißt, wir konstruieren Ähnlichkeiten, um etwas Fremdes oder Unbekanntes im Rahmen von etwas Vertrautem und Bekannten zu erfassen.

Pörksen: Könnte man dann nicht Marvin Minskys metaphorische Rede von der meat machine ähnlich undramatisch als einen Versuch begreifen, das Gehirn zu verstehen?

Weizenbaum: Natürlich, aber wenn ich sage, dass das Gehirn nichts weiter als eine Fleischmaschine ist, dann ändert sich etwas, und das ist entscheidend. Man meint nämlich, es handele sich um eine vollständige, umfassende und komplett ausreichende Beschreibung. Meine Kritik bezieht sich somit gar nicht auf die jeweilige Analogie oder die einzelne Metapher, die in irgendeinem Moment zur Beschreibung des Gehirns oder des Menschen verwendet wird. Dies ist in der Tat ein ganz gewöhnlicher und in der Wissenschaftsgeschichte spätestens seit Newton nachweisbarer Vorgang. Ich protestiere aber gegen die Behauptung, das Gehirn sei nichts weiter als eine Fleischmaschine, der Mensch sei nichts weiter als informationsverarbeitendes System.

Pörksen: Sie protestieren gegen Reduktionismus?

Weizenbaum: Mich entrüstet und ekelt das Credo der KI-Forschung, jeder Aspekt des menschlichen Lebens sei berechenbar und ließe sich entschlüsseln. Natürlich verarbeitet der Mensch Informationen. Und natürlich haben diese Metaphern als reduktionistische Modelle für die wissenschaftliche Arbeit und Erkenntnis ihren enormen Wert. Sie sind schlicht notwendig, sie sind brauchbar, um bestimmte Aspekte des menschlichen Lebens zu verstehen - aber sie sind eben, und dies gerät zunehmend aus dem Blick, Abstraktionen und erfassen nie das Ganze und Gesamte.

Pörksen: Welche andere Sprache oder Form der Beschreibung schwebt Ihnen vor?

Weizenbaum: Ganz spontan gesagt: Ich wäre - hätte ich tatsächlich die Autorität, derartige Vorschläge zu machen - in größter Versuchung, aus jedem wissenschaftlichen Text Formulierungen wie nichts anderes als ... zu streichen. Worauf es ankommt, ist, dass Phänomene und Objekte, Gefühle und Handlungen immer vielgestaltig sind und sich auf sehr verschiedene Weise charakterisieren lassen. Ihre Bedeutung wird erst in einem Kontext offenbar. Um ein einfaches Beispiel zu geben: Was bedeutet es, wenn man eine Hand auf der Schulter spürt? Eine Antwort ist nur möglich, wenn ich eine Geschichte erzähle. Nehmen wir einmal an, dass diese Geschichte von einem jungen Mann handelt. Er hat sich mit seiner Freundin gestritten und sitzt nun zerstreut und traurig in der Bibliothek und versucht zu arbeiten. Doch plötzlich spürt er eine Hand auf seiner Schulter. Oder nehmen wir an, dass es sich bei diesem jungen Mann um einen Verbrecher handelt: Er wird von der Polizei gesucht, sitzt im Wartesaal eines Bahnhofs - und plötzlich spürt er eine Hand auf der Schulter. Was ich damit sagen will? Nie ist etwas für immer und für alle Zeiten beschrieben; zu jeder Beschreibung gehört ein bestimmter Kontext.

Vom Golem zum Roboter

Pörksen: Ich möchte - nach unserem kleinen Disput über notwendige und gefährliche Metaphern und Redewendungen - nochmals in anderer Weise versuchen, Marvin Minsky und Hans Moravec in Schutz zu nehmen. Man kann ja leicht erkennen, dass auch der Traum von einem künstlichen Menschen schon sehr alt ist. Moravec und Minsky erfüllen lediglich, so meine These, mit modernen Mitteln die Ziele des Rabbi Löw von Prag, der - glaubt man der Legende - einen Golem erschuf; sie folgen den Phantasien eines Paracelsus, der danach strebte den Homunculus zu schaffen; sie stehen in der Tradition der Automatenmanie, die sich bis in das Zeitalter der Aufklärung zurück verfolgen läßt.

Weizenbaum: Auch Ihre Frage enthält implizit die reduktionistische Formel nichts anderes als ... Sie sagen letztlich: Die Träume von Moravec und Minsky sind doch nichts anderes als der Traum, der schon die gesamte Geschichte der Menschheit hindurch geträumt wurde. Die Tatsache, dass die Pygmalion-Idee so alt ist und sich womöglich bis zu den Anfängen der Menschheit zurück verfolgen läßt, ist jedoch kein Beweis für die Harmlosigkeit von Moravec und Minsky, sondern belegt einfach nur die enorme Machte dieses Traums. Was sich zeigt, ist, dass Ideen, auch falsche Ideen, einen gewaltigen Einfluss besitzen. Der Unterschied zur Vergangenheit ist allerdings der gegenwärtige Glaube an die modernen Naturwissenschaften: Sie werden es uns, so meint man, in Kürze erlauben, den Menschen wirklich zu verstehen, und die Hochleistungscomputer erscheinen als die richtigen Werkzeuge, um den Pygmalion-Mythos, den man heute mit besonderer Euphorie und Arroganz vertritt, endlich Realität werden zu lassen.

Pörksen: Sind die Protagonisten der KI wirklich so arrogant und euphorisch? Zunehmend setzt sich doch die deutlich weniger reduktionistische Denkschule des Konnektionismus durch, die Intelligenz als Emergenzphänomen betrachtet: Man versucht, lernfähige neuronale Netze zu bauen, in denen Intelligenz plötzlich entsteht, emergiert. Das Gehirn betrachtet man aus dieser Perspektive als ein gigantisches neuronales Netzwerk, das auf der Basis zahlreicher Verknüpfungen arbeitet. Inspiriert durch die Frühzeit der Kybernetik und geschult an den Modellen der Selbstorganisation bekommt damit auch die mögliche Intelligenzleistung einer Maschine etwas Geheimnisvolles und unauflösbar Komplexes.

Weizenbaum: An eine neue Bescheidenheit der Konnektionisten glaube ich nicht. Auch Marvin Minsky ist inzwischen umgeschwenkt und hat erkannt, dass manche Ansätze aus den Anfängen der KI einfach falsch waren, selbst wenn man mit ihnen womöglich spektakuläre Ergebnisse erzielen konnte. Man musste sich eingestehen, dass der Kontext eine zentrale Rolle spielt, wenn es um das Verstehen von Sprache geht. Man musste erkennen, dass der Körper des Menschen für unsere Art Intelligenz sehr entscheidend ist. Und es zeigte sich schließlich, dass es wenig Sinn hat, kleinere oder größere Programme herzustellen, die es der Maschine erlauben sollen, etwas scheinbar Intelligentes zu tun. Aber dieses Eingeständnis von Fehlern hat nicht zu einer anderen Haltung oder gar zu einer neuen Demut geführt. Im Gegenteil. Vielmehr wird die Einsicht in die eigenen Fehler als riesiger Fortschritt verkauft. Und die heimliche Hoffnung, den Menschen eines Tages zu verstehen und ein neuronales Netz, das dem Gehirn entspricht, zu bauen, um es dann in einem zweiten Schritt doch noch zu entschlüsseln, ist geblieben.

Pörksen: In Ihrer Kritik an der KI ist spürbar, dass Sie das Leben und den Menschen eigentlich für etwas fundamental Geheimnisvolles halten und sich wünschen, dass dieses Rätselhafte unserer Existenz anerkannt wird.

Weizenbaum: Die Welt ist voller Geheimnisse - und das Credo der KI-Szene, dass alles berechenbar sei, verleugnet das Geheimnis des Lebendigen, es erzeugt die Illusion vollständiger Durchschaubarkeit und legt nahe, alle Aspekte unserer Existenz seien enträtselbar. Der Glaube an Wunder und Mysterium erscheint aus dieser Perspektive lediglich als eine besondere Form von Dummheit. Mich verletzt diese Behauptung totaler Berechenbarkeit zutiefst.

Mysterium und Geheimnis

Pörksen: Schon ziemlich am Schluß Ihres Buches „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der  Vernunft“ findet sich eine Szene, die von dieser Begegnung mit dem Wunder und dem Geheimnisvollen handelt: "Als meine Kinder noch klein waren", so liest man hier, "stand ich zuweilen zusammen mit meiner Frau über das Bett gebeugt, in dem sie schliefen. Wir sprachen miteinander, ohne zu reden; es war die Wiederholung einer Szene, so alt wie die Menschheit selbst. Es ist schon so, wie Ionesco einmal seinem Tagebuch anvertraut hat: ,Man kann vieles mit Worten ausdrücken, nur nicht die lebendige Wahrheit."'

Weizenbaum: Meine Auffassung ist in der Tat, dass es etwas Unsagbares gibt, eine lebendige Wahrheit, die sich nicht in Worte fassen läßt.

Pörksen: Ein Mystiker würde in derselben Bedeutung von Gott sprechen.

Weizenbaum: Ich möchte eine kleine Geschichte erzählen. Am MIT arbeitete einmal ein episkopallscher Priester, er hieß kurioser Weise Scott Paradise. Eines Tages und schon Jahre nachdem wir uns kennen gelernt und angefreundet hatten, feierte ich einmal eine kleine Party. Scott Paradise war unter den Gästen. Meine Tochter Naomi sprach mit ihm und kam dann ganz erstaunt zu mir. Dein Vater, so hatte Scott Paradise zu ihr gesagt, ist ein besonders religiöser Mensch, er ist ein Mystiker.

Pörksen: Hat die Schärfe, mit der Sie gegen die KI-Forschung und die Computerisierung des Alltags streiten, demnach einen religiösen Halt?

Weizenbaum: Naja, es ist nicht meine Absicht, ein Glaubenssystem jüdisch-christlicher Herkunft oder eine organisierte Religion zu verteidigen; und ich denke auch nicht, dass es irgendwo oben im Himmel einen alten Mann gibt, der, in Bettwäsche gehüllt, das Geschehen in der Welt beobachtet, umgeben von blonden Frauen mit Flügeln, die um ihn herumfliegen. Aber es hat doch in meinem Leben die Erfahrung des Wunders gegeben. Da ist die Erfahrung der Trauer und der Erschütterung, da ist die plötzliche Freude am Morgen, da ist die Erfahrung der Liebe zwischen Menschen. Nun, ein Wunder ist eben ein Wunder; man kann es nicht beschreiben, man müsste ein Künstler sein, um sich ihm anzunähern.

Pörksen: Gott ist für Sie keine Person - was ist er dann?

Weizenbaum: Meine Antwort ist sehr einfach: Gott ist Liebe. Seine Allmacht und seine Gnade und die anderen Eigenschaften, die wir ihm zuschreiben, übersetze ich mir mit dem Wort Liebe. Ein solches Verständnis macht auch die Idee der göttlichen Allgegenwart auf einmal sinnvoll. Das bedeutet für mich nämlich, dass Gott auch in Auschwitz war, denn auch dort gab es Menschen, die versucht haben, aus Liebe zu helfen - und wenn diese Hilfe nur darin bestand, dass sie einem anderen die Hand auf die Schulter legten, um ihn zu trösten.

Pörksen: Gibt es Erfahrungen, autobiographische Erlebnisse, von denen Sie berichten mögen?

Weizenbaum: Als jüdische Kinder im Berlin der 30er Jahre das Gymnasium verlassen mussten, schickte man mich - ich war damals zwölf - auf eine jüdische Knabenschule. Dort hörte ich auf einmal Jiddisch und traf zum ersten Mal osteuropäische Juden, die im so genannten Scheunenviertel lebten. Sie waren entsetzlich arm. Ich habe mich damals regelrecht in einen jüdischen Jungen verliebt, der wirklich in Lumpen und Fetzen gekleidet war. Meine Mutter und ich haben versucht, ihm zu helfen, und ich habe ihm immer mal wieder ein paar Sachen mitgebracht. Es ist die Atmosphäre dieser Begegnung, die mich zutiefst geprägt hat. Sie läßt sich am besten mit dem Wort Liebe beschreiben.

Pörksen: Die Vordenker eines postbiologischen Zeitalters würden sich vermutlich über einen derartigen Respekt vor dem Unsagbaren und dem Mysterium der Liebe lustig machen. So schreibt Max Moore, ein kalifornischer Autor und Vordenker der Roboter-Ära: "Religion ist eine Kraft, die unserer posthumanen Gesellschaft entgegensteht."

Weizenbaum: Man macht sich lächerlich in bestimmten Kreisen, sicher. Man verbreite Opium für das Volk oder einfach Quatsch, so hört man. Zahlreiche moderne Menschen sind überzeugt, dass die Naturwissenschaft - im Gegensatz zu einer religiösen Idee - einen festen Boden des Wissens bietet. Ich bin da einer ganz anderen Auffassung. Für mich ist die Naturwissenschaft lediglich die heute vorherrschende Weltreligion mit Novizen (Studenten), Kirchen und Kathedralen (Universitäten), Priestern und Häretikern; auch die Kardinäle (die Nobelpreisträger) und ganz bestimmte Rituale, um das Ausmaß der eigenen Hingabe und Loyalität zu beweisen, fehlen nicht. Selbst die so genannten Laien glauben einfach - und zwar unabhängig von ihrer alltäglichen Erfahrung. Die meisten Menschen sind beispielsweise davon überzeugt, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. Sie können aber diese Annahme nicht beweisen und akzeptieren sie, obwohl sie ihrer alltäglichen Erfahrung widerspricht: Was sie sehen, ist eine bewegungslose Erde und eine sich bewegende Sonne. Und trotzdem vertrauen sie der Naturwissenschaft blind und unbegrenzt. Es ist diese quasi religiöse Inbrunst, die den Glauben unterstützt, die Naturwissenschaft werde es eines Tages möglich machen mit Hilfe der KI und der Genetik, einen künstlichen, einen besseren Menschen zu erschaffen. Und mit jedem neuen Triumph der Technik nimmt dieser Glaube weiter zu.

Die unvermeidliche Individualität des Lebendigen

Pörksen: Es sind diese Triumphe der Technik und die sich heute bereits abzeichnenden Möglichkeiten der Menschenveränderung, die eine entschiedene Antwort auf die Grundfrage der philosophischen Anthropologie notwendig machen. Sie lautet: Was ist der Mensch?

Weizenbaum: Ich schlage vor, diese Frage etwas anders zu formulieren - sie könnte auch lauten: Was ist das Wesen des Menschen? Worin besteht die fundamentale Differenz zwischen dem Menschen und irgendeiner Maschine, die sich herstellen läßt? Und worin unterscheidet sich der Mensch von einem anderen beliebigen Wesen, das existiert? Es mag etwas arrogant klingen, aber meiner Meinung nach ist die Antwort äußerst offensichtlich und einfach: Ich werde nicht müde zu wiederholen, dass jeder Mensch das Ergebnis seiner persönlichen und individuellen Geschichte ist. Er hat seine eigene Biographie, er lebt zu einem bestimmten Zeitpunkt und ist unausweichlich in die ihn umgebende Gesellschaft eingebettet. Das heißt, jeder Mensch ist ein Sonderfall. Und wenn wir einmal hypothetisch die verrückte Idee für möglich halten, dass es eines Tages tatsächlich eine intelligente Maschine geben könnte, die sich wie ein Mensch bewegt und ihm zum Verwechseln ähnlich sieht, dann wird diese doch niemals ein Mensch sein. Denn auch ihre Geschichte ist eine andere, sie muß eine andere sein - und sie wird sich deshalb immer von einem Menschen unterscheiden.

Pörksen: Zu rechnen ist wohl vorerst mit einem Mischwesen aus organischen und anorganischen Anteilen: Schon heute implantieren wir Elektronik in unsere Körper, benützen Herzschrittmacher und diverse Prothesen, tragen selbstverständlich Hörgeräte und lassen uns künstliche Hüften und Herzklappen einsetzen. Die Wissenschaftshistorikerin und Feministin Donna Haraway hat diese sich anbahnende Verschmelzung von Mensch und Maschine in ihrem berühmten Manifest für Cyborgs gefeiert und dazu aufgefordert, sie zu genießen und ihre emanzipative Kraft zu erkennen. Ihr feministisch inspiriertes Argument ist, etwas zugespitzt formuliert, dass durch Verschmelzung von Mensch und Maschine und die Entstehung des so genannten Cyborgs auch die Unterscheidung von Mann und Frau - das ist die fundamentale Differenz als Basis der Unterdrückung - ihre Grundlage verliert. Wenn Wir alle endgültig zu Cyborgs werden, dann fehlt die Basis, um die Frau noch als die andere und als Unterdrückungsobjekt zu konstituieren. Haraway schreibt: "Daher steht die Cyborg-Politik auf dem Rauschen und auf der Versehrnutzung und bejubelt die illegitime Verschmelzung von Tier und Maschine. Solche Verbindungen machen die Frau und den Mann problematisch, sie unter graben die Struktur des Begehrens, die imaginierte Macht, die Sprache und Gender hervorgebracht hat und unterlaufen damit die Strukturen und Reproduktionsweisen westlicher Identität, Natur und Kultur, Spiegel und Auge, Knecht und Herr, Körper und Geist."

Weizenbaum: Das ist gut geschrieben, aber äußerst oberflächlich gedacht. Ein hohes Maß an Naivität, das stelle ich immer wieder fest, ist geradezu ein Merkmal der Tiefdenker, die sich mit Themen dieser Art beschäftigen. Was mich an den Ideen von Donna Haraway stört? Zum einen glaube ich überhaupt nicht, dass der Unterschied zwischen Mann und Frau aufgelöst wird. In den meisten Science-Fiction-Filmen hat der Cyborg sehr wohl ein Geschlecht; und dieses Faktum sollte man nicht einfach, wenn man in dieser Weise argumentiert, ignorieren. Zum anderen ist diese kurze Passage, die Sie zitiert haben, ein Beispiel für eine andere Art der Fortschrittseuphorie: Man hofft auf die Maschinen als Hilfsmittel der Emanzipation, verlagert ein soziales Problem - den ewigen Konflikt zwischen Mann und Frau - ins Technische und behauptet, es besitze auch eine technische Lösung. Eine mathematische Gleichung kann ich gewiss lösen, aber menschliche und gesellschaftliche Probleme werde nie in dieser Weise endgültig und ein für allemal gelöst.

Pörksen: Aber müssen wir den Maschinen nicht in anderer Hinsicht dankbar sein? Der Schriftsteller Peter Glaser wurde einmal von einem Fernsehsender dazu aufgefordert, in zehn Sätzen eine Rede an die Menschheit zu halten. Sein letzter Satz hat mich beeindruckt. Peter Glaser beendete seine kleine Rede mit der Aufforderung: "Seid freundlich zu den Maschinen! " Das heißt für mich, dass die Maschinen womöglich nicht als Friedensstifter im Geschlechterkampf in Frage kommen, aber sie sind doch Erkenntnishilfen: Sie zwingen uns zur anthropologischen Reflexion und deshalb sollten wir ihnen dankbar sein und ihnen freundlich begegnen.

Weizenbaum: Auch mir gefällt dieser Satz, ich verstehe ich aber etwas anders. Wenn man seine Maschinen nicht verachtet, sondern sie gut behandelt, dann entsteht vielleicht auch eine andere Haltung gegenüber den Mitmenschen. Das ist nicht notwendiger Weise der Fall, aber immerhin möglich, und zumindest bedeutet dieser Satz, dass man überhaupt freundlich sein sollte - unabhängig davon, ob man es mit einer Maschine oder einem anderen Menschen zu tun hat. Dieser Schriftsteller sagt: "Seid freundlich zu den Maschinen!" Man könnte auch sagen: "Seid freundlich zu der Welt! "

Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen und bekannt durch seine Arbeiten zur Skandalforschung sowie seine Bücher mit dem Kybernetiker Heinz von Foerster und dem Psychologen Friedemann Schulz von Thun.

Urteilskraft. Oder: Der Unterschied von Mensch und Maschine bei Joseph Weizenbaum

Die wichtigste Grundeinsicht … ist die, daß wir zur Zeit keine Möglichkeit kennen, Computer auch klug zu machen, und daß wir deshalb im Augenblick Computern keine Aufgaben übertragen sollten, deren Lösung Klugheit erfordert.“— Joseph Weizenbaum, Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft (1977 [1976]), 300.

Blättert man durch das 1976 auf Englisch und bereits 1977 auf Deutsch bei Suhrkamp erschienene philosophische Hauptwerk von Joseph Weizenbaum, fallen unvermeidlich einige Zeichnungen ins Auge. So zeigt etwa Abbildung 2.2 eine Klopapierrolle. Auf diesem ausgerollten Alltagsartefakt liegen kleine Steinchen, weiß und schwarz, auf jedem rechteckigen Blatt jeweils nur eines davon, und einige dürfen auch leer bleiben. Neben diesem sehr einfachen Artefaktarrangement aus günstigem Wegwerf- oder Verbrauchsmaterial liegt ein Würfel mit sechs Seiten, er zeigt die „1“ an.  Diese Zeichnung – der ein gewisser trockener Humor in einem sonst stark kritischen Buch über heilsverheißende Spitzentechnologie nicht entbehren will – illustriert Weizenbaums Beschreibung eines Spiels, das jedoch nicht zweckfrei: Es soll zeigen, wozu und wie man eine formale Sprache gebrauchen kann, und dieses Wissen wiederum soll helfen, erklären zu können, was eine digitale Rechenmaschine ist.


Digitalcomputer sind 1976 noch in höchstem Grad erklärungsbedürftig, auch, weil ihre Leistung im Gegensatz zu Kraft- oder Werkzeugmaschinen nicht handgreiflich erfahrbar wird. Gleichzeitig werden sie schon seit der Beantragung der ersten mit ihnen verbundenen Forschungsförderungsprogramme und noch stärker nach ihrer Marktreife in den 1950er Jahren als „Elektronengehirne“ oder „Denkautomaten“ verklärt und die mit ihnen verbundene Möglichkeiten mythologisch überhöht, was zu übersteigerten Hoffnungen auf gesellschaftlichen Nutzen oder ökonomischen Gewinn führt. Hierin sieht Weizenbaum eine große Gefahr, zu der auch gehöre, dass „zwanghafte Programmierer“ in zunehmendem Maße eine Welt prägten, deren Öffentlichkeit und Entscheidungsträger:innen digital ungebildet seien – eine Einschätzung, die ihre Brisanz gerade auch aus Weizenbaums Sprecherposition bezieht.


Schon vor Erhalt einer Professur für Computer Science am MIT hatte Weizenbaum durch eine erfolgreich eingesetzte maschinelle Postleitzahlerkennung (für die Bank of America) die automatisierte Scheckverarbeitung revolutioniert, er hatte am militärischen Datennetz ARPANET (Advanced Research Projects Agency Network) mitgearbeitet, eine Programmiersprache entwickelt (Symmetric LIst Processor SLIP) und mit dem Chatbot ELIZA (genauer: dem in ELIZA laufenden Script „DOCTOR“) ein zentrales und viel diskutiertes Artefakt der klassischen Künstlichen Intelligenz konstruiert. Er lieferte 1978 – also nach Erscheinen seines KI-kritischen Hauptwerkes – den einzigen skeptischen Beitrag zur Fernsehdokumentation „The Mind Machines“, in der seine Beiträge gegen Entkräftungsversuche des britischen KI-Pioniers Donald Michie geschnitten wurden, der die Verheißungen von KI mit britischem Understatement aber leicht spöttelnd verteidigen durfte. Weizenbaums Wort als kenntnisreicher Kritiker hatte größtes Gewicht, wenn er warnte, und bedurfte der Entgegnung durch einen ebenso einflussreichen wie brillanten Geist.  


Weizenbaum äußerst seine Kritik aber stets vor offengelegten und verständlich gemachten Grundlagen. Um zu verdeutlichen, dass ein Computer im Hinblick auf die geistigen Fähigkeiten eben nicht genauso zu behandeln sei wie ein Mensch, zeichnete Weizenbaum die Illustration der (Klo-)Papiermaschine: Jede Person kann – so sie denn klar und vollständig gegebene Regeln streng Schritt für Schritt befolgt – wie ein digitaler Computer rechnen, und zwar spielerisch unter Benutzung von Steinchen in zwei Farben sowie Klopapier und eines Zettels mit handschriftlich festgehaltenen Spielregeln. Der spielende Mensch, ausgestattet mit einigen wenigen Alltagsutensilien, verkörpert so in der materiellen Welt einen digitalen Rechenapparat, ganz ohne elektrischen Strom. Das Rechenspiel, das Weizenbaum vorschlägt, ist dabei wissenschaftlich belastbar und ermöglicht, die Operationen einer universellen Turing-Maschine – des Grundmodells jedes möglichen Algorithmus – nachzustellen. Alles, was berechenbar ist, kann auch mit Hilfe der Weizenbaum‘schen Klopapiermaschine durchgerechnet werden. Eine größere De-Mythisierung des Digitalcomputers ist schwer vorstellbar.


Es ist also möglich, so zeigt das Beispiel, auch unter Verzicht auf den Jargon der wissenschaftlichen Fachsprache über die Grundlagen der Spitzentechnologie aufzuklären, ohne hierbei den Sachverhalt unpassend zu vereinfachen. Es ist nicht nötig – wie Weizenbaum nun seinerseits zuspitzte – eine „Initiation“ in den Orden der „Künstlichen Intelligenzia“ zu durchlaufen (in der man lernen würde,   einem Wort-„Fetisch“ der „instrumentellen Vernunft“ zu dienen, der sogar von „schwarzer Magie“ umgeben sei)1. Gelungene Wissenschaftskommunikation könne daraus bestehen, die grundlegende Denkweise einer Wissenschaft und ihre Wirkprinzipien gelassen und anschaulich zu vermitteln – und keinen „Bockmist“2 zu verzapfen, der für Uneingeweihte unverständlich sei.


Geschichte und Gedächtnis, Poesie, Zielsetzung – Grenzen der Rechenmaschinen


Was ist es aber, das Computer nicht können?


Drei knappe Fundstücke bringen uns auf die passende Spur. Zwei davon haben mit der Macht der natürlichen menschlichen Sprache zu tun und mit Versuchen, Datenverarbeitung auch in den Geistes- und Kulturwissenschaften fruchtbar einzusetzen. Zum einen liegt hier die Geschichtswissenschaft nahe, und vor allem Aufgabenstellungen, die mit einem Zeitstrahl arbeiten. Man könnte nun verlangen, dass Historiker:innen nach Maßgabe einer computergestützten Methodik ihre Befunde als „Daten“ – also in „standardisierter Form“ – in ein geeignetes Computerprogramm eingeben, um hier dann automatisiert Schlüsse zu ziehen oder aber Vergleiche zu verbessern. Dies ist für Weizenbaum aber eine völlig unpassende Forderung – denn „dann ist Geschichte, dann ist Erinnerung überhaupt ausgelöscht“ und der Computer zum „Instrument zur Zerstörung von Geschichte“ geworden“.3

Ähnliches gilt für Poesie, also schöpferischen Sprachgebrauch. Hier wird Weizenbaum sehr deutlich: „[…] alle Begriffe, Ideen und Phantasien, die von Künstlern und Schriftstellern nicht in eine computerverständliche Sprache gebracht werden können“, hätten, reduziert auf eine computertaugliche Form, gefasst in einer maschinenlesbaren Sprache der Datenverarbeitung, „ihre Funktion und ihre Potenz verloren.“


Übergeordnet ist nun aber eine menschliche Fähigkeit, die als Voraussetzung jeder technischen Entwicklung – so auch des digitalen Computers und seiner Anwendungen – gedacht werden muss. Für Weizenbaum – der hier sogar markiert, „im Klartext“ zu schreiben – ist offensichtlich: „Es müssen Ziele und damit auch Denkmodelle festgelegt werden, denn wie können wir sonst die Operatoren bestimmen […], die auf die Gegenstände angewendet werden sollen, die wir in ‚erwünschte Objekte‘ transformieren wollen?“4


Um überhaupt erst einen Phänomenbereich der Welt so fassen zu können, dass er in eine computerverarbeitbare Form übersetzt, also „verdatet“ und in eine formale Sprache transformiert werden kann, müssen vorlaufende Entscheidungen getroffen werden, nämlich, welche Eigenschaften des Phänomenbereichs interessant und welche nicht relevant sind. Diese Entscheidungen können nicht von einer Maschine getroffen werden.


Wenn man diese Fundstellen in Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft zusammenliest (und zusammen liest), fällt die Antwort sofort in den Blick: „Geschichte“ als Ergebnis eines aus dem lebendigen Gedächtnis erwachsenden Selbstsetzungsprozesses des Menschen, „Poesie“ als Fähigkeit der schöpferischen Gestaltung der Welt durch Hervorbringung des Neuen und Ungewöhnlichen und Erhabenen oder das Festsetzen von Zielen eines Prozesses und der Wertmaßstäbe ihrer Erreichung – all dies sind menschliche Fertigkeiten, die nicht in eine Sammlung von Schritt für Schritt zu befolgenden Regeln gefasst werden können. Sie fallen nicht unter formale oder zweckmäßige Rationalität, sondern in das Feld der Urteilskraft. Und genau so erklärt sich der Untertitel der englischen Ausgabe: „From Judgement to Calculation.“ Dieser Untertitel – und seine Leserichtung – trifft Weizenbaums Argument weit besser als die deutsche Übersetzung:5 Weizenbaum – so wird hier deutlich – erzählt eine Verfallsgeschichte des Geistes, in der eine weitgreifende „Urteilskraft“ auf ein enges „Berechnen“ reduziert wird. Der Computereinsatz selbst ist hierbei – etwa klischeehaft gelesen als vorgeblich Verdummung fördernde Verfallserscheinung einer übertechnisierten Zivilisation – nicht die Gefahr. Die immense Gefahr liegt in der Rückkopplungsschleife einer nachlaufenden Theoriebildung: Wir Menschen seien vollständig reduzierbar auf das, was ein digitaler Computer könne. Aber nur, weil ein digitaler Computer ein wenig von dem kann, was wir Menschen können (nämlich algorithmisch rechnen), wird diese Vermutung nicht wahr.  


Ein digitaler Computer kann alles, was Menschen können, wenn sie rechnen. Das ist schon ziemlich viel – können sie doch mit Hilfe von Übersetzungsregeln lebensweltliche natürliche Sprache in formale Sprachen übersetzen, diese in logische Folgen überführen und diese wiederum in maschinenlesbaren Code übertragen (zum Beispiel Binärcode). Dieser kann dann algorithmisch und Schritt für Schritt durchgearbeitet werden. Damit kommt man in manchen praktischen Einsatzfeldern schon sehr weit – Weizenbaum selbst konnte die Arbeitsprozesse des Bankwesens technisch optimieren und einen irritierend authentischen Chatbot schreiben, und er lobte erfolgreiche Werkzeugentwicklung, die – wie DENDRAL in der Massenspektrographie oder MACYMA in der computergestützten Mathematik – theoriegeleitet vorgenommen worden seien.

Dass nun aber alles Denken und jede geistige Aktivität nach diesem Rezept reduzierbar wäre, trifft nicht zu: Der Umkehrschluss, dass alle Fähigkeiten des menschlichen Geistes „digitalisierbar“ seien, ist nicht statthaft. An der Bewertung, dass Menschen diese nicht maschinentauglichen geistigen Fähigkeiten nicht mehr brauchen würden oder gar auf sie verzichten könnten oder dass sie eigentlich noch nie existiert hätten, weil Menschen immer schon Maschinen gewesen seien, hat Weizenbaum schärfste Kritik übrig. Dieser Kritik gibt er in seinem Buch den Raum, der auch heute noch notwendig ist.


Herausforderungen des menschlichen Computereinsatzes


Weizenbaums Kritik der „Computermacht“ ist also immer auch eine tiefgreifende Herausforderung für eine Wissenschaft, die sich zu stark auf Beobachtung und Verhaltensbeschreibung verlässt, anstatt zu versuchen, ebenfalls zu Begreifen und zu Verstehen. Eine Reduktion auf Beschreibung des Gegenwärtigen und dessen Analyse reicht für Weizenbaum nicht aus, um den ganzen Menschen in all seinem Denken und Tun zu fassen. Hierzu werden Urteilskraft und Synthese benötigt – also die Fähigkeit, Zusammenhänge zu sehen und das Einzelne zu einem angemessenen, passenden, auch historischen Ganzen zu verbinden. Diese Fähigkeit geht über die Möglichkeiten der Vernunft hinaus, und somit auch über jedes Regelset, das ein Algorithmus fassen kann. Somit ist – zumindest für Weizenbaum – auch eine Grenze der Möglichkeiten jedes digitalen Computers markiert, er ist und bleibt eine (Rechen-)Maschine. Eine (Rechen-)Maschine bekommt ihre Regeln – auch für (teil-)autonomen Betrieb – von ihren Architekt:innen eingeschrieben, genauso, wie sie ihre materielle Form von ihren Gestalter:innen und den beteiligten Gewerken erhält. Hiermit wird Ada Byron Lady Lovelaces Urteil betätigt, dass eine Rechenmaschine immer das macht, was ihr vorgegeben und eingeschrieben wurde, dass sie niemals aufwachen wird – ein Urteil, das Turing 1950 in seinen berühmten Entkräftungen einschlägiger Einwände gegen „Maschinenintelligenz“ angreift, in dem aber schon immer auch die Frage nach Frankensteins Monster oder dem Golem mitschwingt.


Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft liest sich jedenfalls auch heute noch druckfrisch – und ist alles andere als schlecht gealtert. Dies gilt auch für die kleine Sammlung von Vorträgen und Aufsätzen, die Weizenbaum in den 1990er-Jahren in Deutschland gehalten hat und die unter dem Titel Computermacht und Gesellschaft und ebenfalls bei Suhrkamp in der Reihe herausgegeben wurden. Hier finden wir in Das Menschenbild im Licht der künstlichen Intelligenz – ein Vortrag, gehalten am 30. Mai 1990 im Industrieclub Düsseldorf – eine Zusammenfassung von Weizenbaums Haltung gegenüber einer KI-Forschung, die sich als übersteigerte Naturwissenschaft verabsolutiert hat. Damit soll der vorliegende Text enden:


„Ideen, auch falsche Ideen, haben Macht. Die Idee, daß ein Mensch ein Objekt ist, getrennt von seiner Umwelt, von seinen Mitmenschen, oder jedenfalls trennbar – für naturwissenschaftliche Zwecke – ist falsch und gefährlich. Sie kommt zustande und gewinnt an Einfluss nur aufgrund der Unterwürfigkeit des modernen Menschen gegenüber der Naturwissenschaft. Der Wiedergewinn unseres Vertrauens in unsere eigenen Denk- und Traumfähigkeiten ist notwendig, um ein vieldimensionales Menschenbild (wieder?) herzustellen.“6


Christian Schröter ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Digitalen Akademie der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz und dort leitender Koordinator des Konsortiums für Forschungsdaten materieller und immaterieller Kultur NFDI4Culture in der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur NFDI. Er wurde am Philosophischen Seminar der Universität Heidelberg mit einer Arbeit zur Wissensgeschichte von Turings Maschinen promoviert und hat am Karlsruher Institut für Technologie KIT zur Technikgeschichte der Künstlichen Intelligenz geforscht. Seine ORCID lautet: 0000-0003-1367-8489

Fußnoten

1 Weizenbaum 1977 [1976], S. 334.

2 Eine wunderbare Übersetzung von „bullshit“, Weizenbaum 1977 [1976], S. 324.

3 Weizenbaum 1977 [1976], S. 313.

4 Weizenbaum 1977 [1976], S. 322f

5 „Urteilskraft“ im Sinne der Schriften Kants wird im Englischen mit „judgment“ übersetzt.

6 Weizenbaum 2001, S. 42f.

Literatur

Weizenbaum, Joseph (1977 [1976]), Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft. Übersetzt von Udo Rennert, Frankfurt am Main: Suhrkamp, (=1978 als suhrkamp taschenbuch wissenschaft 274, 10. Auflage 2003 zum 30jährigen Bestehen der Reihe; orig. 1976 Computer Power and Human Reason. From Judgement to Calculation, New York: Freeman & Company)

Weizenbaum, Joseph (2001), Computermacht und Gesellschaft. Freie Reden, Frankfurt am Main: Suhrkamp. (=suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1555)

Weblinks

Public Broadcasting Service PBS – NOVA (1978), „The Mind Machines – Arthur C. Clarke“, online: https://archive.org/details/themindmachines (geprüft 2023-12-01)

Heinz Nixdorf MuseumsForum – HNF Blog (06.01.2023), „Joseph Weizenbaum (1923-2008)“, online: https://blog.hnf.de/joseph-weizenbaum-1923-2008/ (geprüft 2023-12-01)

Reaktionen auf Weizenbaums Buch

John McCarthy, University of Stanford. An Unreasonable Book. Rezension (Englisch) in Creative Computing, 1976:

Link: http://jmc.stanford.edu/artificial-intelligence/reviews/weizenbaum.pdf

Joshua Lederberg, University of Stanford. Rezension (Englisch), 1976:

Link: https://maeda.pm/wp-content/uploads/2018/09/BBBBLN.pdf

Hermann C. Flessner, Universität Hamburg. Rezension in DER SPIEGEL, 32/1978:

Link: https://www.spiegel.de/kultur/gefaehrlicher-dialog-a-b15e3210-0002-0001-0000-000040615925

Philipp Sarasin, Universität Zürich. Rezension in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 19, 2022:

Link: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2429

Alptraum Computer

Von Joseph Weizenbaum

Unsere Zivilisation steht heute am Anfang einer schweren geistigen Krise. Akademiker, Industrielle und Journalisten beschäftigt die Möglichkeit, dass der Computer irgendwie beweisen wird, »das Gehirn sei lediglich eine Maschine aus Fleisch«. Allein eine solche These zu erwägen bedeutet, den Nutzen der Freiheit des Menschen, seiner Würde und seiner Autonomie infrage zu stellen. Wir müssen uns darüber klar sein, dass ein Computer nichts ist ohne ein Programm. Ein Programm ist im Grunde die Umwandlung eines Computers in einen anderen, welcher autonom ist und in einem sehr realen Sinne ein Verhalten besitzt.


Die Frage »Ist das Gehirn lediglich eine Maschine aus Fleisch?« ist typisch für die Art von Fragen, die aus einer technologischen Mentalität formuliert und tatsächlich nur in ihr formulierbar sind.


Sobald sie als rechtmäßig zugelassen ist, beginnen Streitgespräche, was ein Computer »im Prinzip« kann oder nicht kann, und diese Streitgespräche werden dann selbst rechtmäßig.


Wer die Frage stellt, bestimmt in starkem Maße die Antworten. In diesem Sinne ist die Technologie und speziell die Computertechnologie ein sich selbst erfüllender Albtraum geworden, der an die Frau erinnert, die davon träumt, vergewaltigt zu werden und ihren Angreifer bittet, nett zu ihr zu sein. Er aber antwortet: »Es ist Ihr Traum, gute Frau.« Wir müssen einsehen, dass die Technologie unser Traum ist und dass wir es sind, die schließlich entscheiden, wie er enden wird.


Was ist mit den vielen Programmen, auf die sich das Management in Regierung und Militär verlässt, von denen man keineswegs behaupten kann, dass sie auf erklärbaren Theorien beruhen? In unserem Eifer, jeden technischen Fortschritt auszunutzen, fügen wir eiligst das, was wir bei der maschinellen Manipulation des Wissens solcher auf bestimmten Theorien basierenden Systeme gelernt haben, in dieses Flickwerk ein. Es »funktioniert« dann besser. Nun wird es ungemein wichtig zu verstehen, wie solche Systeme wirklich konstruiert sind.


Die Systeme im Pentagon haben in einem sehr realen Sinn keine Autoren


Ich denke da an Systeme zur Auswahl von Kriegszielen, wie sie in Vietnam benutzt werden, an die Kriegsspiele im Pentagon und so weiter.


Diese oftmals gigantischen Systeme werden von Programmierteams in Zeitspannen häufig von vielen Jahren zusammengesetzt. Wenn dann das System schließlich wirklich in Gebrauch genommen wird, sind die meisten früheren Programmierer nicht mehr da oder haben sich anderen Aufgaben zugewandt.


Die Schwelle der Komplexität, jenseits derer diese Erscheinung auftritt, ist schon von vielen existierenden Systemen einschließlich einiger Kompilations- und Betriebssysteme überschritten worden. Ein plumpes Betriebssystem ist lediglich unbequem. Auf einem anderen Blatt aber steht, dass man sich immer mehr auf Supersysteme verlässt, die vielleicht als Hilfe bei Analysen und Entscheidungen gedacht waren, seitdem aber das Wissen ihrer Benutzer überfordern und doch für sie unentbehrlich geworden sind. Im modernen Krieg ist es etwa dem Bomberpiloten vertraut, in einer riesigen psychischen Entfernung von seinen Opfern zu operieren. Er ist nicht verantwortlich für verbrannte Kinder, denn er sieht ja niemals ihre Dörfer, seine Bomben und gewiss nicht die brennenden Kinder.


Die moderne technologische Rationalisierung von Krieg, Diplomatie, Politik und Handel wie etwa in den Computerspielen wirkt sich sogar noch heimtückischer auf die Politik aus: Die Politiker haben nicht nur ihre Verantwortung zur Entscheidung einer ihnen unverständlichen Technologie übertragen, wobei sie die Illusion aufrechterhalten, dass sie, die Politiker, die politischen Fragen stellen und beantworten - vielmehr ist die Verantwortung selbst verdunstet.


Mein Vater pflegte sich auf die letzte Autorität zu beziehen, indem er zu mir sagte: »Es steht geschrieben.« Aber da konnte ich lesen, was geschrieben steht, konnte mir einen Autor vorstellen, konnte seine Wertmaßstäbe rekonstruieren und schließlich zustimmen oder ablehnen.


agegen haben die Systeme im Pentagon und ihre Gegenstücke überall in unserer Kultur in einem sehr realen Sinn keine Autoren. Kein Wunder, dass Menschen, die Tag um Tag mit solchen Maschinen leben und von ihnen abhängen, glauben, dass Menschen lediglich Maschinen seien. Sie spiegeln damit wider, was sie selbst geworden sind.


Die Aufgabe der Informatik: Den Studenten Demut einflößen


Die Idee raffinierter indirekter Nebenwirkungen einer Technologie auf die Gesellschaft lässt sich an der Erfindung des Mikroskops nachweisen. Zur Zeit seiner Entdeckung, in der Mitte des 17. Jahrhunderts, wurde Krankheit allgemein als eine Strafe verstanden, die Gott einem Einzelnen auferlegte. Das Mikroskop befähigte den Menschen zur Erkennung von Mikroorganismen und schuf damit die Voraussetzungen für die Erregertheorie der Krankheiten. Daneben führte die überraschende Entdeckung extrem kleiner lebender Organismen zu der Vorstellung einer kontinuierlichen Lebenskette, die wiederum eine notwendige geistige Voraussetzung für die Entwicklung des Darwinismus war. Sowohl die Theorie der Krankheitserreger als auch die Evolutionstheorie veränderten die Vorstellungen des Menschen von seinem Vertrag mit Gott und damit sein Selbstverständnis. Politisch haben diese Ideen die Macht der Kirche verringert und bisher unangreifbare Autoritäten infrage gestellt.


Es ist sinnvoll zu fragen, ob der Computer ähnliche Veränderungen im Selbstverständnis des Menschen bewirken wird. Wie ist die psychologische Auswirkung auf die Individuen einer Gesellschaft, in der anonyme, also nicht verantwortungsfähige Kräfte die großen Tagesfragen stellen und den Bereich möglicher Antworten abgrenzen? Es kann nicht überraschen, wenn eine große Anzahl aufnahmebereiter Menschen in einer solchen Gesellschaft ihre Ohnmacht erkennen und sich in jene blinde Wut treiben lassen, die oft solche Erfahrungen begleitet.


Computergestützte Wissenssysteme werden mehr oder weniger unveränderbar. Weil sie nach Überschreiten einer gewissen Schwelle nicht mehr aufgegeben werden können, besteht die große Gefahr, dass sie von einer Generation zur nächsten vererbt werden und dabei immer weiter wachsen. Sicherlich, auch der Mensch überträgt seine Erfahrungen von einer Generation zur nächsten. Weil er aber sterblich ist, ist diese Übermittlung über die Generationen zugleich ein Prozess des Filterns und der Vervollkommnung. Der Mensch überträgt nicht bloßes Wissen, er regeneriert es kontinuierlich. So viel wir auch das Verschwinden alter Kulturen betrauern mögen, so wissen wir doch, dass die Größe des Menschen ebenso sehr in der Evolution seiner Kulturen wie in der Evolution seines Hirns begründet ist.


Die unkluge Anwendung immer größerer und immer komplexerer Computersysteme könnte diesen Prozess durchaus zum Stillstand bringen.


Sie könnte die Ebbe und Flut der Kulturen durch eine Welt ohne Werte ersetzen, eine Welt, in der alles Wesentliche vor langer Zeit bestimmt und für alle Zeiten festgehalten worden ist.


Der Nichtfachmann hat überhaupt keine andere Wahl, als dem Computer die Eigenschaften zuzuordnen, die durch die von der Presse verstärkte Propaganda der Computergemeinschaft zu ihm dringen. Daher hat der Informatiker die enorme Verantwortung, in seinen Ansprüchen bescheiden zu sein. Diesen Rat brauchte ich nicht einmal auszusprechen, wenn die Informatik eine Tradition der Gelehrsamkeit und Kritik besäße wie die etablierten Wissenschaften. Ich betrachte es als eine der wichtigsten Aufgaben eines Fachbereichs für Informatik an einer Universität, diese Art von Demut den Studenten einzuflößen, insbesondere durch das Beispiel der Lehrenden.


Wenn die Technologie ein Albtraum mit anscheinend eigener unausweichlicher Logik ist, dann ist sie unser Albtraum. Der Mensch kann, Mut und Einsicht vorausgesetzt, der Technologie das Vorrecht absprechen, Menschheitsfragen zu stellen. Man kann menschliche Fragen stellen und darauf menschenwürdige Antworten finden.


Dieser Text ist die gekürzte Fassung eines Artikels, der in der ZEIT vom 21. Januar 1972 erschien. Die vollständige Fassung finden Sie unter www.zeit.de/1972/03/Albtraum-Computer

1972
– 1996

Mit neuer Mission

Weizenbaum als Kritiker der Computergesellschaft

Nachdenklich von den Erfahrungen mit ELIZA, nimmt sich Joseph Weizenbaum eine Auszeit. Er beginnt, seine Kritik an Gesellschaft und Künstlicher Intelligenz zu entwickeln. Dafür setzt sich der Computerwissenschaftler und Mathematiker zunehmend mit psychoanalytischer, philosophischer, kulturwissenschaftlicher und politischer Literatur auseinander.
Weizenbaum beginnt, an einem Buch zu arbeiten. Mit dem Artikel „Alptraum Computer“ in der Wochenzeitung DIE ZEIT (1972) präsentierte er seine Überlegungen erstmals einer breiteren Öffentlichkeit. Darin diskutiert er die Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Computer, den gesellschaftlichen Folgen des Einsatzes von Computertechnik und die Rolle der Wissenschaft.

„Der meiste Schaden, den der Computer potenziell zur Folge haben könnte, hängt weniger davon ab, was der Computer tatsächlich kann oder nicht kann, als vielmehr von den Eigenschaften, die das Publikum dem Computer zuschreibt.“

Joseph Weizenbaum, Alptraum Computer

1976 erscheint mit „Computer Power and Human Reason“ (DT. „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“, 1977) sein kritisches Hauptwerk, in dem er die unreflektierte Technikbegeisterung in weiten Teilen von Wissenschaft und Gesellschaft kritisiert.

Seine Kritik – besonders die an seinen Kolleg:innen – führt zu heftigen Auseinandersetzungen, wie etwa die Reaktion des Informatikers John McCarthy zeigt, mit dem Weizenbaum zusammengearbeitet hatte:

„Das unvernünftige Buch ist genauso wirr und schlecht wie Eliza, es ist an der Zeit, festzuhalten, dass der Computer eine unschuldige Maschine ist.”

John McCarthy in seiner Kritik an Weizenbaums Buch

Zugleich erfährt Weizenbaum viel Zuspruch für seine Rolle als öffentlicher Kritiker seiner Zunft:

„Ich erhielt so viele Briefe von Menschen, die schrieben, sie hätten ja gar keine Ahnung gehabt, dass es irgendjemanden gibt, der ähnlich wie sie dachte.”

Joseph Weizenbaum, Inseln der Vernunft, 76

Ausgehend von seiner Erfahrung mit ELIZA, wendet sich Weizenbaum gegen die Vorstellung, der Mensch sei bloß eine informationsverarbeitende Maschine und könne im Prinzip von Computern ersetzt werden. Darin sieht er eine Mythologisierung von Computern und eine naturwissenschaftlich geprägte „Illusion vollständiger Durchschaubarkeit des Lebens“. Die für Weizenbaum zentrale Frage nach dem Unterschied zwischen Mensch und Technik hat Christian Schröter in einem Beitrag näher beleuchtet:
Weizenbaum kritisierte den im Silicon Valley weit verbreiteten Technik-Solutionismus. Er war der Ansicht, dass nur Menschen Probleme auf menschliche Weise lösen könnten: Unter Berücksichtigung von gesellschaftlichem und kulturellem Kontext, aber auch biologischen und emotionalen Bedürfnissen.
Weizenbaum kritisiert den im Silicon Valley weit verbreiteten Technik-Solutionismus. Er ist der Ansicht, dass nur Menschen Probleme auf menschliche Weise lösen können: Unter Berücksichtigung von gesellschaftlichem und kulturellem Kontext, aber auch biologischen und emotionalen Bedürfnissen.
Die ‚künstliche Intelligenz‘ eines Computers, der auf Grundlage abstrakter Programme Informationen verarbeite, sei nicht vergleichbar mit menschlicher Intelligenz und könne sie nicht ersetzen. Davon zu träumen, betrachtet Weizenbaum als menschenfeindliche Vision, die er mit dem Holocaust in Verbindung bringt.
Die künstliche Intelligenz eines Computers, der auf Grundlage abstrakter Programme Informationen verarbeite, sei nicht vergleichbar mit menschlicher Intelligenz und könne sie nicht ersetzen. Davon zu träumen, betrachtet Weizenbaum als menschenfeindliche Vision, die er mit dem Holocaust in Verbindung bringt.

„Letztlich muss zwischen der Intelligenz von Menschen und der von Maschinen ein Trennungsstrich gezogen werden.“

Joseph Weizenbaum, Macht der Computer, 22

„Wie immer intelligente Maschinen auch hergestellt werden können - ich bleibe der Auffassung, dass bestimmte Denkakte ausschliesslich dem Menschen vorbehalten sein sollten.“

Joseph Weizenbaum, Macht der Computer, 28

Außerdem weist Weizenbaum darauf hin, dass Computer unweigerlich die Gesellschaft reproduzieren, in der sie genutzt werden – samt ihren Hierarchien und Defekten.
Der Einsatz von Technik zur Lösung gesellschaftlicher Probleme verstelle den Blick auf deren tatsächliche Ursachen, weg von Menschen, hin zu Maschinen. Deren Funktionsweisen seien jedoch so komplex, dass sie „kein Mensch mehr explizit kennt oder versteht.“ Die Folge sei eine Diffusion und Verweigerung von Verantwortung, die beim Einsatz automatisierter Waffen, Verfahren zur Rechtsprechung oder in der Medizin katastrophale Folgen haben könne.

„Unsere Gesellschaft hat die Technik entwickelt, Verantwortung so zu verteilen, dass niemand sie hat.“

Joseph Weizenbaum, Computermacht und Gesellschaft, 33

„Wenn irgend etwas schiefgeht, kann man heute doch immer sagen: Tut uns leid, das war der Computer.“

Joseph Weizenbaum, In 20 Jahren werden die Computer verschwunden sein

Eine wichtige Adressatin seiner Kritik ist die Wissenschaft, der er große gesellschaftliche Verantwortung zuspricht. Weizenbaum betont die Verantwortung von Forschenden für die Folgen und den Einsatz ihrer Entwicklungen. Wertneutrale Forschung konnte es für ihn nicht geben.
Paradebeispiel eines gewissenlosen Forschers ist für Weizenbaum der Ingenieur Wernher von Braun (1912–1977). Letzterer hatte im Dritten Reich die Entwicklung der V2-Rakete angeleitet, die Tausenden von Zwangsarbeiter:innen und Kriegsopfern das Leben kostete. Nach 1945 wurde er für seine Ingenieursleistungen im Mondlandungsprojekt der NASA in den USA bekannt.

Auch Teile der Informatik-Community kritisiert Weizenbaum für ihre rein „instrumentelle“ Herangehensweise. Deren Verkörperung sieht er in der Figur des „zwanghaften Programmierers“, der seine Arbeit als Selbstzweck begreife, um sein Ego aufzuwerten. Im Gegensatz dazu fordert er eine wertebasierte und anwendungsorientierte Wissenschaft.

„Ich fordere die Einführung eines ethischen Denkens in die naturwissenschaftliche Planung. Ich bekämpfe den Imperialismus der instrumentellen Vernunft, nicht die Vernunft an sich.”

Joseph Weizenbaum, Macht der Computer, 334

In der BRD der 1970er- und 1980er-Jahre Treffen Weizenbaums kritische Positionen auf fruchtbaren Boden – im Milieu der Friedensbewegung, oder im Hinblick auf Datenschutz und Bürgerrechte.
Weizenbaum profiliert sich mit seinen Thesen als lautstarker Kritiker des gesellschaftlichen Umgangs mit Computern. Er nimmt die Rolle des ‚Dissidenten‘ und ‚Ketzers‘ an und wird zu einem Vorreiter der Kritischen Informatik, die sowohl vor der Illusion ‚künstlicher Intelligenz‘, als auch vor einer mythischen Überhöhung von Computern warnt.
Er drängt auf Aufklärung in der Gesellschaft, um unkritischer Technikgläubigkeit entgegenzuwirken und einen selbstbestimmten Umgang mit Computertechnik zu ermöglichen. Oft schlägt er dabei einen pessimistischen Ton an.

„Meiner Meinung nach sind wir heute alle Passagiere auf einer Titanic: wir fahren auf den Eisberg zu, aber es ist zu spät, das Steuer herumzureißen. Es ist uns einfach bestimmt auf diesen Berg aufzufahren; das Schiff muss sinken.“

Joseph Weizenbaum, Kurs auf den Eisberg, 48

In seinem 1984 erschienenen Buch „Kurs auf den Eisberg. Die Verantwortung des Einzelnen und die Diktatur der Technik“ erklärt Weizenbaum seine Wandlung zum Dissidenten und Kritiker.
Für Weizenbaum ist die Forderung nach einem bedachten und verantwortungsvollen Einsatz von Computertechnik eine Frage von gesellschaftspolitischer Dimension, für die er sich aktiv einsetzt. Seine Positionen erfahren viel Resonanz und werden öffentlich debattiert– etwa in diesem Aufeinandertreffen mit dem Journalisten Raimund Vollmer von 1981:
1981 gründet er mit US-amerikanischen Kolleg:innen den bis 2013 existierenden Berufsverband Computer Professionals for Social Responsibility (CPSR), 1984 folgt das bundesdeutsche Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FifF). Beide Organisationen setzen sich für einen verantwortungsvollen Einsatz von Computertechnik ein.
Das FifF bewegt sich im ideellen Umfeld der Alternativbewegung in der BRD, die sich kritisch mit Aufrüstung, Atomkraft und mit Fragen des Klima-, Umwelt-, Daten- und Verbraucherschutzes auseinandersetzt. Viele dieser Themen bewegen auch Joseph Weizenbaum. So unterstützt er 1980 die Gründung des ersten Wissenschaftsladens für Informatik (FORBIT) in Hamburg, der bis heute Beratungs- und Bildungsangebote zu den Themen Informationstechnologie, Datenschutz und Mitbestimmung in Unternehmen anbietet. Später beteiligt er sich an der Gründung des Institute of Electronic Business mit dem Masterstudiengang „Leadership in digitaler Innovation“ an der Berliner Universität der Künste.

Ausschnitte aus dem Mitglieder-Rundbrief und Programmatik des FifF, 1986

Weizenbaum engagiert sich auch bei der Gründung der Informatik als Fach an deutschen Hochschulen. Er setzt sich dafür ein, in den Lehrplänen auch die Anwendung und die gesellschaftlichen Auswirkungen von Computertechnik zu berücksichtigen.